Ruth Weiss
Ruth Weiss besuchte unsere Schule 1999 zum ersten Mal. Durch Vermittlung von Anni Kropf, einer Kollegin, die sie vor gut 20 Jahren in Sambia kennen gelernt hatte, wurde sie als Zeitzeugin eingeladen, aus ihrer Autobiographie „Wege im harten Gras“ vor den 10. Klassen eine Lesung abzuhalten. Diese Lesung fand im Zusammenhang mit dem Unterrichtsprojekt „Die Weiße Rose“(– Ausstellung im Rathaus –) statt. Ein weiteres Mal las Ruth Weiss im November 2002 vor den 10. Klassen aus ihrem Jugendbuch „Meine Schwester Sara“.
Biographie
Ruth Weiß wurde 1924 als Kind jüdischer Eltern in Fürth geboren. Der Vater, Richard Löwenthal, verliert bereits 1933 seine Arbeitsstelle und wandert mit Hilfe von Verwandten nach Südafrika aus. 1936 kann auch die restliche Familie, darunter die 11-jährige Ruth, nach Johannesburg nachkommen.
Hier findet die Familie eine neue Heimat („Mein Herz ist in Afrika“), Sensibilisiert durch das eigene Schicksal als Jüdin und politisiert durch ihre Mitarbeit im „Unabhängigen Kulturverein“, einem Zusammenschluss deutscher Emigranten, darunter zahlreiche Intellektuelle wie Schriftsteller und Künstler, entwickelt die junge Ruth Weiss schon bald eindeutige politische Vorstellungen. Mit vielen dieser Menschen verbindet sie eine lebenslange Freundschaft.
Seit 1960 schreibt sie als Journalistin gegen das Unrecht der Apartheidpolitik im südlichen Afrika an. In dieser Zeit lernt sie auch Nelson Mandela kennen.1966, als sie zu einem beruflichen Aufenthalt im benachbarten Südrhodesien (heute Zimbabe) weilt, erhält sie von der südafrikanischen Regierung Einreiseverbot. Erst 1992 kann sie Südafrika wieder besuchen. Als anerkannte Wirtschaftjournalistin erlebt Ruth Weiss die Jahre der Unabhängigkeitsbestrebungen im südlichen Afrika mit und hat Kontakte zu allen wichtigen afrikanischen Freiheitskämpfern. Ende der 60er Jahre muss sie auch Rhodesien verlassen, da sie allzu offen berichtet, wie es der Regierung gelingt, die UN-Sanktionen zu umgehen.
Eine berufliche Tätigkeit beim „Guardian“ in London und der „Deutschen Welle“ in Köln schließen sich an. Danach kehrt sie nach Afrika zurück, arbeitet in Sambia und Simbabwe für bekannte englische, deutsche und afrikanische Zeitungen, auch als Ausbilderin für Journalisten. In dieser Zeit interviewt sie Kanzler Willy Brandt und begleitet 1975 Außenminister Genscher auf seiner Afrikareise. Sie veröffentlicht eine Anzahl von Büchern über die Probleme Südafrikas und schreibt Romane und Jugendbücher.
Ihr Leben wird durch eine vielseitige Reisetätigkeit bestimmt. Sie hat nicht nur fast alle Länder des afrikanischen Kontinents besucht, auch nach China und Japan führt sie ihre Arbeit. Nach Beendigung ihrer Berufstätigkeit zu Beginn der 90er Jahre lässt sie sich auf der Isle of Wight nieder.
Danach lebte sie einige Jahre in ihrer Geburtsheimat Deutschland, wo sie weiter als freie Schriftstellerin tätig war. 2015 zog sie aus Altersgründen zu ihrem Sohn nach Dänemark.
Warum haben wir Ruth Weiss als Namensgeberin für die RSM (heute RWR) Aschaffenburg vorgeschlagen?
Zwischen ihr und Aschaffenburg gibt es eine enge Beziehung. Die Familie des Vaters stammt aus einem Dorf im Spessart, wo sie als Kind auch mehrmals die Ferien verbrachte. Ein Onkel besaß dort Land und einen Weinberg, ein anderer war der Geschäftsmann Mathias Löwenthal, dem das Kaufhaus Löwenthal in der Herstallstraße bis zur „Arisierung“ gehörte. Sie war als Kind öfter bei den Verwandten in Aschaffenburg zu Besuch, zuletzt mit 5 Jahren. Als ich 1999 mit ihr einen Stadtspaziergang unternahm, führte dieser uns auch in die Herstallstraße zum heutigen Kaufhaus „Peek und Cloppenburg“. Auch wenn sie nicht gerne darüber redete, spürte ich doch ihre starke innere Anteilnahme; die Erinnerungen an ihre Familie sind sehr lebendig, wenn auch von Trauer geprägt. So beschreibt sie in ihrer Autobiographie, wie sie zu Beginn der 60er Jahre das Spessartdorf besucht, in dem ihr Vater geboren wurde. Dabei trifft sie Freunde des Vaters aus der Kinderzeit, erfährt aber auch, dass in der „Reichskristallnacht“ Onkel und Tante deportiert wurden.
„Menschen vergessen schnell. Deswegen sind wir als Zeitzeugen gezwungen zu sprechen“, erklärt sie. Auf zahlreichen Veranstaltungen, vor allem in deutschen Schulen, versuchte sie die jungen Menschen über die Geschehnisse aufzuklären. In einem Interview mit meinen Schülerinnen erklärte sie, dass sie keinen Hass gegen die Nachkommen der Täter empfinde. Mit den jungen Menschen könne sie reden, mit den Tätern nicht.
Für die Schülerinnen und Schüler unserer Schule ist es ein großer Gewinn, in den Büchern von Ruth Weiss eine kompetente und sehr überzeugende Schriftstellerin kennen zu lernen. In ihren Jugendbüchern greift sie die Geschichte des Judentums auf, „Der Judenweg“ z. B. ist ein historischer Roman, der in Franken im 17. Jahrhundert spielt. In „Meine Schwester Sara“ erzählt sie vom Schicksal eines deutschen Waisenkindes, das von einer Burenfamilie in Südafrika adoptiert wird, ohne dass diese weiß, dass es sich um ein jüdisches Kind handelt.
Die Kinder- und Jugendbücher von Ruth Weiss fanden internationale Anerkennung, „Sascha und die neun alten Männer“ stand 1999 auf der Liste der 13 besten Jugendbücher für den Katholischen Jugendbuchpreis.
Ihre Jugendbücher, die im Unterricht gelesen werden, klären über Unrecht und Gewalt auf, rufen zu Toleranz und Frieden auf.
Es gibt aber noch eine persönliche Verknüpfung von Ruth Weiss und der RWR. Seit 1993 unterstützt unsere Schule AIDS-Waisen in Sambia. Durch zahlreiche Klassenpatenschaften gibt es inzwischen eine dauerhafte Hilfe für das Kasisi Childrens Home in Lusaka. Da Ruth Weiss lange in Sambia gewohnt und heute noch Freunde dort hat, verfolgt sie mit großem Interesse unsere Sambia-Hilfe und überbrachte, wenn sie das Land besuchte auch bereits, persönlich die Spendengelder.
Auch als Frau und Mensch kann Ruth Weiss Vorbild für unsere Schülerinnen sein. Nadine Gordimer, die Nobelpreisträgerin für Literatur, mit der Ruth Weiss über 40 Jahre befreundet ist, schreibt einmal über sie: „Spricht man von ihr als Frau, so lässt sich an ihrem Lebensweg, obwohl sie nichts weniger als eine hart gesottene Feministin ist, der mutige wie schwierige Weg einer Frau zur Emanzipation nachvollziehen“
Trotz großer Schwierigkeiten – das Studium war ihr nach dem Abitur wegen finanzieller Nöte versagt geblieben – hat sie sich ihr Leben lang bemüht, Neues zu lernen und daran zu wachsen. Vom Aushilfsjob als Sekretärin in einem Anwaltsbüro hat sie es zu einer anerkannten Journalistin und Schriftstellerin gebracht und sich damit den Kindheitstraum vom Schreiben erfüllt. Durch ihre Arbeit geriet sie in eine Männerwelt, die Welt des Finanzjournalismus und politischen Kommentars, und konnte sich dort behaupten. Engagement, geduldiges Verstehen, Toleranz und Wärme strahlt diese bemerkenswerte Frau aus, die sich trotz schwieriger Lebenssituationen immer zu ihrem Kind bekannte, das sie mit 42 Jahren erwartete und das sie als allein erziehende Mutter aufzog.
Ihr Lebensmotto spiegelt ihren Charakter wider: Am nächsten Tag wachte ich auf, die Sonne schien, das Leben konnte weiter gehen. Mit mir.“
Es ist an dieser Stelle unmöglich, alle Aktivitäten von Ruth Weiss für Frieden und Gerechtigkeit darzustellen. Ich möchte eine Szene aus ihrer Biographie erwähnen, die mir vor allem gezeigt hat, dass sie als glaubwürdiger und authentischer Mensch überzeugt. Sie arbeitet als junge Frau in einer Versicherungsgesellschaft und ist auch für die Angestellten zuständig. Da beschweren sich die Frauen im Büro über eine Kollegin aus Mauritius, die wahrscheinlich ein „Mischling“ sei, sie wollen nicht dieselbe Toilette benutzen, und der Chef beauftragt sie, die Frau zu entlassen. Ruth entgegnet ihm: „Du hast mir einmal gesagt, ich solle das Hassen lernen. Das kann ich nicht. Aber ich habe gelernt, Vorurteile zu hassen.“ Sie entlässt die Mitarbeiterin – und kündigt selbst. Vielleicht hat sie an ihre Schwester Margot gedacht, die als junges Mädchen in der Fürther Realschule von bisherigen Freunden beschimpft und mit Dreck beworfen wurde, als die Nazipropaganda gegen die Juden begann.
2005 wurden „1000 Frauen für den Frieden“ für den alternativen Friedensnobelpreis vorgeschlagen. Ruth Weiss ist eine dieser 1000 Frauen.
Ihre Worte auf dem Umschlag ihrer Autobiographie sollen für sich selbst sprechen:
„In all diesen Jahren hörte ich nicht auf zu lernen. Das Wichtigste war wohl die Erfahrung, dass Menschen nicht gleichartig, wohl aber gleichberechtigt sind. Ich lernte, dass Angehörige verschiedener Kulturen miteinander leben können, dass es jedoch schwer ist, eine fremde Kultur wirklich zu erleben.“
Doris Kanja, Geschichtslehrerin i.R.
Ein Leben für den Weltfrieden
Besonders Wissenswertes über Ruth Weiss
- Als Kind in Deutschland erlebte sie durch die Judenverfolgung –und später in Südafrika die durch die Apartheid – Ungerechtigkeit und Hass. Deshalb leistet sie heute als Zeitzeugin durch Lesungen und Vorträge, insbesondere an Schulen, unermüdliche Aufklärungsarbeit, damit so etwas nicht wieder passiert.
- Die Familie war Eigentümer des Kaufhauses Löwenthal (heute Peek& Cloppenburg) in Aschaffenburg.
- Ruth Weiss war 1999 und 2002 als Zeitzeugin zu Besuch an unserer Schule.
- Im Jahr 2005 wurde sie für den alternativen Friedensnobelpreis nominiert.
- Ihre Lebensgeschichte brachte es mit sich, dass sie in vielen Ländern lebte und arbeitete- jedoch nicht immer freiwillig. Wenn man es Aufenthalte nennen will – wo war sie dann eigentlich „Zuhause“?
Lebenslauf
Am 26: Juli 1924 als Ruth Löwenthal in Fürth geboren | |
1927-1931 | Umzüge nach Hamburg, Rückersdorf bei Nürnberg und zurück nach Fürth |
1936 | Flucht nach Johannesburg, wohin der Vater bereits 1933 emigriert war und ein Lebensmittelgeschäft betrieb |
Bis 1940 | Besuch der Highschool |
1941-194 | Angestellte in einem Rechtsanwaltbüro |
1944- 1948 | Arbeit in der Buchhandlung ihres Mannes Hans Weiss |
1948- 1952 | Company Secretary (vergleichbar Prokuristin) in einem Versicherungsbüro |
1952 | Umzug nach London; Arbeit im Verlag“ Elek Books“ |
1954 | Rückkehr nach Südafrika; Erneute Tätigkeit im Versicherungsbüro und Assistentin ihres Mannes als Korrespondentin für deutsche Medien |
1960 – 1965 | Einstieg in den Journalismus als Business Editor beim „Newscheck“/ Johannesbg. und bei der „Financial Mail“; in dieser Zeit lernte sie Nelson Mandela kennen |
1966 | Geburt ihres Sohnes Alexander (Sascha) |
1966- 1968 | Bürochefin der „Financial Mail“ in Salisbury im damaligen Südrhodesien (heute Zimbabwe); Ruth Weiss erhält Einreiseverbot nach Südafrika, wird zur „Persona non grata“ erklärt und auf die „schwarze Liste“ gesetzt |
Ende der 60er | Wieder in London: Arbeit für den „Guardian“ und den „Investors Chronicle“ |
Ab 1971 | In Sambia Business Editor bei „Times of Zambia“ und dortige Korrespondentin der „Financial Times“; Ausbildung von Journalistin; Interview mit Willy Brandt |
1975 | Begleitung von Außenminister Genscher auf seiner Afrikareise |
1975- 1978 | Umzug nach Köln; Chefin vom Dienst der Afrika-Redaktion der Deutschen Welle |
1978- 1982 | Freiberuflerin in London und Gründung der Journalistengruppe „ Link- up“; 1980 begleitet sie die Unabhängigkeit Zimbabwes und organisiert das erste Medienseminar |
1982 | Reise mit Euro-Parlamentariern nach Angola; Umzug nach Harare (Zimbabwe); Arbeit für „Zimbabwe Mass Media Trust“ ( wichtige Pressegruppe des Landes) und Ausbilderin für Wirtschaftsjournalistik am Polytechnikum |
Ab 1983 | Freie Journalistin; Gründung und Aufbau des „ Southern African Economist“; Arbeit an verschiedenen Büchern und Filmen; Vortragsreisen über die Situation im südlichen Afrika |
1989 | Aufbau eines neuen Forschungszentrums „Zimbabwe Institute für Southern Africa“ für den „Cold Comfort Farm Trust“ in Zimbabwe |
1990 | Erstmaliger Besuch Johannesburgs nach der Vertreibung im Jahr 1966; Nelson Mandela wird Präsident; Löschung ihres Eintrags auf der „schwarzen Liste“ |
1992 | Umzug nach England auf die Isle of Wight; Arbeit als Schriftstellerin |
1994 | Autobiographie „ Wege im harten Gras“ |
1999 | Internationale Anerkennung ihres Kinder- und Jugendbuches „Sascha und die neun alten Männer“ -> auf der Liste der 13 besten Jugendbücher für den Katholischen Jugendbuchpreis |
2002 | Umzug nach Deutschland ins Münsterland |
2002 | „Meine Schwester Sara“ als Plädoyer gegen den Rassismus -> wird 2004 zur Pflichtlektüre an den Realschulen in Baden-Württemberg |
2005 | Nominierung für den alternativen Friedensnobelpreis |
2007 | Geburt ihres Enkelkindes |
Ende 2009 | Reise nach Sambia und Südafrika; Nimmt auf Einladung der Naumann-Stiftung am Symposium für ZamCom über Medien teil. Sie spricht am Goethe-Institut Johannesburg zum Thema: „Cracking walls- 20 Jahre Mauerfall in Deutschland“: Trifft dort auch wieder Denis Goldberg |
Feb 2010 | Erneute Afrikareise; im Auftrag des Weltfriedensdienstes führt und dokumentiert Ruth Weiss 15 Interviews als „follow up“ eines u.a von ihr 1987-90 in Zimbabwe durchgeführten geheimen Anti- Apartheidsprojekts |
Aug 2010 | Namensgeberin für die Staatliche Realschule für Mädchen in Aschaffenburg |
Aug 2016 | Fusion der Staatlichen Realschulen Mädchen und Knaben Aschaffenburg. Die "neue", koeukative Realschule heißt nun Ruth-Weiss-Realschule, Staatliche Realschule Aschaffenburg |